Klingt zu gut für den Müll
Aus alten Treppenstufen, ausgedienten Zigarrenkisten und kaputten Skateboards baut Jan Klingenberg E-Gitarren. Je schräger der Look, desto besser.
Wenn im Keller die Säge kreischt, ist klar: Jan Klingenberg ist wieder am Werk. Der 33-jährige Maschinenbauingenieur steht mit Atemschutzmaske und Lärmschutz auf den Ohren in seiner Werkstatt und sägt einen Gitarrenhals aus Mahagoniholz. Das Brett war einst eine Treppenstufe in einem Wohnhaus.
Der Korpus, an den der Hals später befestigt werden soll, war im früheren Leben eine Zigarrenkiste. Die Kanten sind mit Kunststoff aus alten Schallplatten verstärkt. Und das Kabel für den elektronisch verstärkten Klang entdeckte Jan in seiner defekten Mikrowelle. Er fand die Stoffummantelung des Kabels zu schick zum Wegwerfen und hauchte ihm neues Leben ein. Jan baut E-Gitarren aus Dingen, die andere Menschen in den Müll werfen.
„Ich rette Material vor dem Wegwerfen“, sagt Jan. „Ich bin nicht übertrieben für Umweltschutz und bin nicht antikapitalistisch drauf, aber konsumkritisch schon. Deshalb verwerte ich gerne Teile, die als minderwertig gelten und verwandle sie in etwas Schönes.“
Seit 20 Jahre spielt er Gitarre, seit 13 Jahren baut er auch welche. Ihm gefällt, dass es bei diesem Instrument kaum Regeln gibt, dafür viel Raum für Kreativität. „Du kannst eine Gitarre mit einer Saite bauen oder mit 15 – alles ist möglich. Es ist wunderbar, etwas zu bauen, was vorher nicht da war. Instrumente sind eine Steigerung davon: Mit der Musik, die rauskommt, lässt sich wieder etwas Neues erschaffen.“
Momentan hat Jan eine Serie von fünf Cigar-Box-Gitarren in der Mache, die an große Gitarristen erinnern – eine ist schwarz lackiert und mit einem rot gemaserten Schlagbrett versehen wie die „Lucille“ von B. B. King, eine andere trägt ein wildes Muster aus schwarzen, roten und weißen Streifen wie Eddie Van Halens „Frankenstrat“.
Er kam zu seinem Hobby, als er im Internet ein Foto einer selbst gebauten Gitarre sah. Er dachte: „Krass, es gibt Leute, die das selbst machen? Dann probiere ich das auch. Seitdem kann ich nicht mehr aufhören damit.“ Zwei bis sechs Gitarren baut er pro Jahr neben seinem Job als angestellter Maschinenbauingenieur. Als Künstler sieht er sich nicht: „Ich bin Maschinenbauer. Die Dinge müssen Hand und Fuß haben.“
Der Keller ist Jans liebster Raum im Reihenhaus in Radolfzell-Böhringen, zwei Kilometer vom Bodenseeufer und 20 Kilometer von Konstanz entfernt. Früher, als er mit Frau und den inzwischen sechsjährigen Zwillingen noch in einer kleineren Wohnung gelebt hat, baute er seine Gitarren am Küchentisch oder auf dem Balkon. Aber als die Kinder laufen lernten, war es nicht mehr möglich, die Stichsäge auf dem Esstisch zu deponieren. Deshalb war die Werkstatt im Keller entscheidend beim Hauskauf. Ab und zu kommt Ehefrau Sina herunter, lässt einen Teller Gebäck da und steigt wieder die Treppe hinauf ins Obergeschoss.
Auf seinen heiligen 18 Quadratmetern taucht Jan tief in seine Gitarrenbau-Welt ein. Einige seiner vollendeten Werke schmücken Wände und Gitarrenständer. Material sammelt er in ordentlich beschriftete Boxen. Sein Werkzeug hält er sorgfältig sortiert in Schubladen bereit. Alles hat seinen Platz. Den Bildschirm für den Computer, mit dem er seine selbstgebaute CNC-Fräse bedient, hat er in die Kellerwand eingelassen, so nimmt er keinen Platz zum Bauen weg. Die Fräse kann er mit einem verknüpften X-Box-Controller fernsteuern. Solche Details machen ihm Freude.
Mit einem Konstruktionsprogramm entwirft er seine Gitarren. Insgesamt braucht er für den Nachbau einer klassischen E-Gitarre etwa 40 Stunden, aber lieber schafft er etwas ganz Neues, was entsprechend mehr Entwicklungszeit erfordert. „Ich will mit meinen Gitarren nichts Großartiges erreichen. Ich bin einfach gerne kreativ. Das ist wie ein Muskel, den man trainieren muss, um frisch im Kopf zu bleiben. Und wenn ich Gitarren baue, fördere ich diesen Kreativmuskel.“
Jan nimmt die Mahagonistufe in die Hand und zeigt auf den Fleck, wo einst ein Teppichstück klebte. Für 30 Euro hat er die Stufe gebraucht im Internet gekauft. Neu wäre der Preis wohl ähnlich, aber erstens will Jan kein Neuholz verarbeiten und zweitens hat diese Stufe Geschichte. Als sie noch Teil eines Wohnhauses war, hat sie viele Füße getragen. Eine Kraft und Energie, die in Form einer Gitarre weiterleben kann. „Ich habe auch mal Holz eines Mammutbaums zur Gitarre verarbeitet, der beim Sturm ,Lothar‘ zerstört worden war“, erzählt Jan. Die Zigarrenkisten ergattert er im Tabakladen.Bundstäbchen aus Metall, Tonabnehmer aus Magnet und Draht, die Metallbrücke auf dem Korpus besorgt er im Fachhandel.
Fragen, die sich Jan im ersten Schritt stellt: Wie soll die Gitarre aussehen? Was soll sie können? Soll sie möglichst leicht oder klein sein? Und aus welchem Material? Welche Form soll sie haben? Wie viele Saiten? Welche F-Löcher? Welche Tonabnehmer?
Den Klang plant er nicht. Ohnehin mag er lieber dreckigen Sound als saubere Klänge. Wie das Instrument letztlich klingt, ist jedes Mal eine Überraschung. „Es ist immer der spannendste Moment, wenn ich zum ersten Mal das Verstärkerkabel reinstecke.“ Sein Anspruch ist: Die Gitarre muss Charakter haben, funktionieren, ergonomisch und ästhetisch gefallen. Vor allem mag er den Gedanken, dass viele Menschen etwas Positives mit ihnen verknüpfen: „Beim Anblick einer Gitarre denken die Leute an ihre Lieblingslieder von früher, an das Rockband-Poster in ihrem Kinderzimmer oder an Kneipenabende, an denen sie selbst ein bisschen gespielt haben. Gitarren lösen in vielen eine schöne Erinnerung aus.“
Die Idee der Cigar-Box-Gitarren stammt ursprünglich aus den Südstaaten der USA. Sklaven haben Zigarrenkisten aus dem Müll der weißen Gutsbesitzer geholt und daraus Gitarren gebaut, um Blues und Gospel zu spielen. In Europa sind sie wenig verbreitet. Jan ist einer der wenigen hierzulande, der sie baut. Es gibt sie mit ein oder bis zu sechs Saiten, Jan benutzt am liebsten drei: „Da hast du reichlich Klangfarbe und trotzdem sind sie einfach zu spielen: Man braucht keine Akkorde und drückt immer alle Saiten auf einmal“, sagt er.
Am Computer zeigt Jan, wie er zunächst dreidimensionale Skizzen anfertigt. Mit dem Cursor fährt er über den Bildschirm, montiert auf seinen Skizzen virtuell Teile an und wieder ab - so lange, bis ihm sein Plan gefällt. Für einen Laien wirkt das sehr professionell - und das ist es auch: „Die Software ist komplex, aber ich habe während meines Studiums schon mit ähnlicher Software gearbeitet, daher konnte ich es mir ganz gut aneignen.“ Steht die Skizze, sägt Jan aus Sperr- oder Restholz eine Schablone aus und überträgt die Formen auf das Rohmaterial seiner Wahl.
Wenn der Gitarrenhals ausgesägt und gefräst ist, folgt der nächste Arbeitsschritt: Für die Bünde legt er den Bunddraht auf das Griffbrett und presst ihn mit der Handhebelpresse in den Bundschlitz. Dabei muss er die Bünde auf einen halben Millimeter genau auf den Hals kriegen, sonst stimmt der Ton hinterher nicht mehr: „Man muss schon sehr genau arbeiten, aber man braucht kein Studium dafür. Ein paar musikalische Basics auf der Gitarre sollte man aber schon mitbringen, sonst fehlt das Verständnis für dieses Handwerk.“ Sobald die Bünde auf dem Hals ihren Platz gefunden haben, kommt ein Tropfen Sekundenkleber auf die Enden der Bundstäbchen, damit nichts verrutscht. Eine ruhige Hand braucht es da. „Wenn auch nur ein kleiner Tropfen Sekundenkleber auf das Griffbrett gelangt, ist es hin.“
Dann rundet Jan die Bünde einzeln mit der Feile von Hand ab. Es geht voran. Jan liebt diesen Entstehungsprozess. So sehr, dass er sogar etwas zu trödeln beginnt: „Ich nenne das die Angst vor dem Fertigwerden. Deshalb zögere ich es gerne hinaus.“ Die Bünde sind nun bündig, aber die Kanten noch scharf. Er feilt mit dem Schleifklotz. Jeder Handgriff sitzt.
Im nächsten Schritt geht es an die selbstgebaute CNC-Fräse. Sie hat extra eine Vorrichtung, mit der er gleich zwei Gitarrenhälse auf einmal fräsen kann. Heute spannt er aber nur einen Gitarrenhals ein, fräst Löcher für die Mechanik in die Kopfplatte und kleine Löcher für die Side Dots, die auf den Bünden und der Halsrückseite die Tonlagen markieren.
Dann kommt die Zigarrenkiste ins Spiel. Die F-Löcher und die Öffnungen für die Elektronik hat Jan schon gefräst. Jetzt leimt er den Halsblock an. Dann fehlen nur noch die Stahlsaiten und das Instrument ist fertig. Ob er Gitarren lieber baut oder spielt? Die Antwort folgt prompt: „Bauen.“ Wenn er wütend ist oder gestresst, bleibt er dem Keller lieber fern - denn dann passieren schnell Fehler. „Ab und an passiert es trotzdem, dass ich ein besonders schönes Holz versaue, indem ich es falsch fräse. Solche Misserfolge sind für mich immer wieder eine Herausforderung. Dann lege ich das Holz ein paar Wochen weg und mit etwas Abstand baue ich dann später daran weiter und bin ich auf das Resultat am Ende doch stolz.“
Ein Business aufbauen möchte er mit seinen Einzelstücken nicht. Wichtiger ist ihm, mit Formen und Farben zu experimentieren, Abläufe zu überdenken und die Lösungssuche auszukosten. Der schönste Moment für ihn als Gitarrenbauer ist es, wenn ein guter Musiker eine Gitarre von ihm ausprobiert. „Ich schaffe gerne etwas mit meinen Händen, was individuell ist und über mich hinausgeht. Wenn ich einmal nicht mehr da bin, wird diese Begeisterung von mir bleiben.“ Er entlockt der 90 Zentimeter langen, schwarzen Cigar-Box-Gitarre ein paar Takte und statt der Säge schallt nun feinster Blues aus dem Keller.
Text: Tanja Schuhbauer | Fotos: Philip Frowein
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Wer noch mehr über Jans Instrumente erfahren will, kann das hier.