Jetzt oder nie: Sascha baut sich ein Didgeridoo
Ein Instrument spielen lernen. Eine Herausforderung für unseren Autor. Wenn schon, denn schon, denkt Sascha. Und baut sich gleich sein eigenes Didgeridoo.
Wenn ich durch Haus und Garten schlendere, staune ich manchmal nicht schlecht: Was ich schon alles gebaut habe! Werkzeug, Möbel und Fortbewegungsmittel. Was ich dagegen noch nie geschafft habe: ein Musikinstrument.
Vielleicht liegt der Grund dafür tief in meiner Lebensgeschichte: Schon im zarten Alter von fünf Jahren hatte mir meine Glockenspiel-Lehrerin fehlendes Talent bescheinigt, ich flog von der Musikschule. Später versuchte ich mich als Lagerfeuer-Gitarrist – mit mäßigem Erfolg.
In Australien helfen Termiten, sie höhlen tote Eukalyptus-Stämme aus. In Deutschland machen wir das mit der Flex."
Wolfgang Lüttig
Doch das ist ein halbes Leben her. Die Zeit ist reif für einen neuen Anlauf. Diesmal werde ich ein Instrument nicht nur spielen lernen. Nein, ich werde es auch selber bauen. Ich denke an meinen Nachbarn, der mal ein Cajón gebaut hat, eine Kistentrommel, die ihm große Freude bereitete. Mir manchmal weniger.
Die Idee ist aber nicht, mit meinem Nachbarn ein Trommelduo zu bilden. Und der Begriff Kistentrommel kommt auch nicht von ungefähr – so ein Ding ist doch schneller zusammengezimmert, als ich das Wort buchstabieren kann. Auf der Suche nach Inspiration fahre ich in den nächsten Plattenladen. Berausche mich am Anblick schwarzer Vinyl-Scheiben, höre in das eine oder andere Album rein. Dann bleibt mein Blick an einem Cover in der Ethno-Abteilung hängen. Auf einmal ist die Sache klar wie ein Sopran: Ich baue mir ein Didgeridoo.
1. Zieh ab: beste Form
Klar ist aber auch: Ohne Anleitung werde ich das nicht schaffen. Kein Problem, mit Wolfgang Lüttig habe ich meinen Didgeridoo-Baumeister schnell gefunden. Er empfängt mich in seinem Haus bei Braunschweig, führt mich gleich in den Garten. Dort bleiben wir vor einem zwei Meter langen, auf zwei Böcken liegenden Baumstamm stehen. „Fichte, frisch gefällt“, sagt Wolfgang. „Vor ein paar Tagen, sodass er schon ein wenig trocknen konnte. Zu trocken und hart darf das Holz beim Didgeridoo-Bau aber auch nicht sein, das hier ist der perfekte Zeitpunkt.“ Na, dann los! „Zuerst musst Du den Stamm schälen“, sagt Wolfgang. Ich greife zum Zugmesser, lege los, mit voller Kraft. Offenbar bin ich etwas übermotiviert. „Sanfter, vor allem am unteren Ende des Stamms!“, bremst er mich, „wir wollen wirklich nur die Borke entfernen.“ Als der Stamm nach einer Viertelstunde nackt vor uns liegt, greift mein Workshop-Leiter zum Bleistift. „Unten gehst Du nicht mehr ran, da bleibt der Stamm so dick wie möglich. Nach oben hin muss sich das aber noch stark verjüngen“, sagt Wolfgang und zeichnet einen kleinen Kreis auf die Schnittfläche am oberen Ende. „Der Kreis soll bleiben, der Rest soll weg“, weist er mich an. Ich greife wieder zum Zugmesser, darf endlich alles geben. Doch alles ist wohl nicht genug. Wolfgang verschwindet kurz, kommt mit einem Elektrohobel zurück: „Nimm den, geht schneller!“
2. Profi-Aufschneider: Besuch beim Tischler
Ich schäle, hobele, mache immer wieder kurze Pausen. Die heiß gelaufene Maschine dankt es mir, meine brennenden Muskeln auch. Wolfgang nutzt jede Unterbrechung, um den Stamm genau zu untersuchen und mich auf Stellen hinzuweisen, die noch intensiver bearbeitet werden sollen. Zwei Stunden später nimmt der Stamm langsam Form an, jetzt sieht er schon bald nach Didgeridoo aus. Wir laden das Werkstück ins Auto, fahren für den nächsten Arbeitsschritt in eine Tischlerei. Unterwegs erzählt Wolfgang seine Geschichte: eine Karriere als Ingenieur und Laborleiter bei einem großen Automobilkonzern, vorzeitiger Ruhestand auf eigenen Wunsch. Seitdem baut und spielt Wolfgang Didgeridoos, schon ein paar Dutzend hat er hergestellt. In der Tischlerei angekommen, geht alles ganz schnell: „Wir müssen den Stamm der Länge nach aufschneiden“, erklärt Wolfgang, „in meiner Heimwerker-Werkstatt funktioniert das aber nur mittelprächtig.“ Wir sehen zu, wie der Tischler das Holz mit sicherer Hand durch seine Profi-Bandsäge schiebt, nehmen je eine Hälfte in Empfang, dann verladen wir die beiden Teile wieder im Auto.
3. Ganz schön hohl: Winkelschleifer statt Termiten
Zurück im Garten, legen wir die beiden Seiten mit der Schnittfläche nach oben auf die Böcke – wie zwei Hälften eines gigantischen Baguettes. „Jetzt höhlen wir die Hälften von innen aus“, sagt Wolfgang. Nur eine zentimeterdünne Wand soll stehen bleiben, also starten wir mit schwerem Gerät. Mein Baumeister drückt mir einen Winkelschleifer in die Hand, dessen Schleifscheibe frisst sich schnell tief ins Holz. Zu tief? Ich zögere. „Da geht mehr“, ermutigt mich Wolfgang. „Klar, Du darfst nicht durch die Wand, sonst wäre der Stamm nur Brennholz. Aber so weit sind wir noch lange nicht.“ Irgendwann hat der Winkelschleifer dann doch seine Schuldigkeit getan, für die Feinheiten arbeite ich mit Stechbeitel und Klopfholz weiter. Wolfgang gibt unterdessen Didgeridoo-Know-how zum Besten: „Die australischen Aborigines, die das Didgeridoo vor Jahrtausenden erfunden haben, konnten sich diesen Arbeitsschritt sparen. Sie mussten das Holz nicht selbst aushöhlen, das haben Termiten für sie erledigt.“ Wie praktisch!, denke ich. Und dresche eifrig weiter auf den Beitel ein. Letzte Feinheiten erledige ich mit grobem Schleifpapier.
4. Der Leim macht’s: aus zwei wird eins
Dann soll wieder zusammenwachsen, was zusammengehört. Aber bevor ich beide Hälften miteinander verleime, machen wir die Probe aufs Exempel. „Noch können wir testen, wie das Blasinstrument klingt, und bei Bedarf nacharbeiten“, sagt Wolfgang. Klar: Wenn uns das Instrument erst mal an den Leim gegangen ist, ist es für inneres Feintuning zu spät. Also legen wir die Hälften aufeinander, drehen Schlauchschellen fest. Dann der große Augenblick: Ich hole tief Luft, blase ins obere Ende hinein, bringe aber nur dumpfes Krächzen zustande. Betreten blicke ich Wolfgang an. Was ist falsch gelaufen? Alle Arbeit umsonst? „Liegt wohl nicht am Didgeridoo“, sagt er trocken, „lass mich mal.“ Ansetzen, durchatmen, und dann – ja, doch! – beginnt das Didgeridoo, wohlig-satt zu schnurren. „Klingt gut“, sagt Wolfang, „klingt richtig gut.“ Er ist zufrieden, ich bin es auch – jedenfalls mit meinem Werk, weniger mit meinen musikalischen Fähigkeiten. Egal, jetzt erst mal bauen, gespielt wird später. Ich löse die Schlauchschellen, will schon Leim auftragen. „Nicht so schnell“, sagt Wolfgang, „frisch geerntet lässt sich das Holz zwar am besten bearbeiten. Doch beim Trocknen kann es sich verziehen. Vor dem Verleimen müssen wir ein paar Tage abwarten.“
5. Schmirgle sanft: der Feinschliff
Fünf Tage später stehe ich wieder bei Wolfgang im Garten, diesmal zum Kurzbesuch – nur noch Leim auftragen, Baumstamm-Hälften aneinanderdrücken, Schlauchschellen setzen. Denn nach dem Holz muss jetzt der Leim trocknen, erst am nächsten Tag folgt die letzte Etappe meines Didgeridoo-Projekts: der Feinschliff. Anfangs arbeite ich noch mit der Maschine, dann mit immer feinerem Papier, bis sich das Musikinstrument glatt anfühlt. Anschließend folgt die erste – und vorläufig letzte – Ölung. So kommt die Maserung schön zur Geltung, und das Holz ist bestens geschützt.
Fertig? Fast. Ein letztes Mal müssen wir warten, das Öl soll gut ins Holz einziehen. Ich lege so lange die Füße hoch, merke aber bald, wie nervös ich bin: Gleich ist es so weit! Gleich bin ich dran, muss zeigen, was ich draufhabe in Sachen Didgeridoo-Spiel. Leider ist das bisher sehr wenig. Zum Glück gibt Wolfgang mir Tipps: „Nicht die Lippen zusammenpressen, ein gängiger Anfängerfehler. Sondern locker machen, wie bei einem schnaubenden Pferd.“ Gehört, getan, ich gebe mein Bestes.
Ich hole tief Luft, lasse sie durch die lockersten Lippen der Welt ins Blasinstrument fließen. Erst gibt es ein dumpfes Stöhnen von sich. Dann, schon etwas besser, ein kratzendes Brummen. Ein paar Versuche später klinge ich fast wie ein singender Wal. „Das wird, das braucht bloß noch Übung und Geduld“, sagt Wolfgang ermunternd. Ich nicke nur. Ich verstehe schon: Ein Didgeridoo zu bauen ist das eine. Ein Didgeridoo zu spielen – das ist eine ganz andere Geschichte.
Text: Sascha Borrée | Fotos: Lucas Wahl